FRITZI ERNST – jo-jo (CD, LP Vinyl)
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Wir müssen uns Sisyphos weder traurig noch glücklich, sondern als einen ständig scrollenden Menschen vorstellen - Einer von vielen Gedanken, die das neue Album von Fritzi Ernst (Ex-Schnipo Schranke) auslösen kann. Denn das titelgebende Jo-Jo - heute müsste man fast sagen: eine Art Retro-Kinderspielzeug - ist hier nicht nur vieldeutige Metapher für eine von Auf- und Abbewegungen geprägte Lebensrealität zwischen Streits, Trennungen, Bands, Kunst, Erinnerungen und Versöhnungen. Auch der Sound hat sich verändert: Dominierten auf dem Vorgänger noch recht orthodoxe Songs mit leicht erkennbaren Strophen und Refrains, sind es auf "Jo-Jo" vor allem Loop-Strukturen: Kaskaden, die sich aufbauen, abbauen, unterwegs etwas mitnehmen oder auch wieder verlieren. Kunstvoll hoch und runter wie ein Jo-Jo eben. Wie bereits "Keine Termine" wurden alle Songs gemeinsam mit Ted Gaier von Die Goldenen Zitronen produziert. Am Anfang der neuen Songs standen meist sehr kurze, vielleicht 30 Sekunden lange Skizzen. Loops, zu denen sich erst später Texte entwickelten. "Ich muss da dann ein Lied darüber schreiben, was mir wichtig ist", erklärt Fritzi Ernst selbst. Wie zum Beispiel über das Gefühl, das alle guten Menschen kennen: Manchmal vielleicht etwas dumm zu sein. In der Single "Ich bin so dumm" wird das zu einem ungeschönten, gegenwärtigen Bekenntnis, hier wird die negative innere Stimme zu einer Ode übers Dummsein, überschlägt sich Selbstabwertung bis ins Mantrahafte. Oder, um es ungefähr in den Worten des Songs zu sagen: Etwas falsch rum dran geschraubt haben, aber als Lebensgefühl. Aber wo es hinunter geht, das wissen wir jetzt, geht es auch wieder hinauf. Und so bekennt Fritzi Ernst schon im darauffolgenden "Ich steh im Bett": "Ich werde was kreieren / Manchmal lieb ich mein Gehirn". Fröhlich verspielte Quietsche-Synths und beste NDW-Instrumentierung bilden das Fundament für "Ich steh im Bett", zu dem man sich alleine in der Küche tanzend erwischen kann und das doch von nichts weniger als dem kreativen Prozess hinter dem Songwriting erzählt. Wie man sich ein Lied ausdenkt, Lektion 1. Aber es geht auch um den Struggle, mit dem das Kunstmachen immer schon und heute natürlich besonders einhergeht: "Wenns sein muss mach ich mich bekloppt / In schlechten Zeiten bis zum Tod / Jackpot oder arbeitslos". Was "Ich steh im Bett" großartig macht, ist die Weise, auf die der Fritzi Ernst-Approach die nervigen Bedingungen des Kunstmachens erzählt. Wenn es nämlich heißt: "Ich brauch den gut bezahlten Slot", ist das zwar wahr, macht sich aber gleichzeitig über ein so lächerlich ökonomisches Wording lustig. Selbstermächtigung durch Ausstellung. Den Menschen, die wirklich nur Kunst machen, um die gut bezahlten Slots abzugreifen, möchte man eben lieber nicht begegnen. Stattdessen lieber Fritzi Ernst hören, denn "Jo-Jo" bietet auch über die Albumlänge eine fantastische Bandbreite. Das drängende, fast existenzielle "Schreien oder schweigen" oder das verregnet vor sich hin tröpfelnde Klavier in "Nie drüber gelacht", in dem es auch um das Ende von Schnipo Schranke geht und Fritzi Ernst so traurig wie hoffnungsvoll bekennt: "Dass wir uns wieder vertragen / träum ich manchmal in der Nacht". Trauerkloß im Hals. Und dann müssen wir natürlich darüber reden, die Verbeugung vor Tears for Fears mit dem Cover von "Mad World". Es fügt sich derart gut in das Album ein, dass Fritzi Ernsts ursprünglicher Plan, einen Welthit als Cover zu wählen, "damit man sofort erkennt, dass es nicht von mir ist", vermutlich das Einzige ist, was hier nicht funktioniert. Das Bild der "Mad World" fasst die Gegenwärtigkeit von "Jo-Jo" Mitte der 2020er Jahre eben erstaunlich perfekt zusammen und den Hang, traurige Songs mit fröhlichen Melodien zu singen, teilen sich Fritzi Ernst und Tears for Fears. *Bitte Freimachen
